Geht es nach Julia Dächert und ihrem Team von Smart City, einem Projekt der Deutschen Bahn, sollen wesentliche Mängel bis Juni verschwunden sein. Dazu gehört beispielsweise der Bereich zwischen ZOB und Bahnhof direkt vor der Bahnhofsmission. „Wir lassen die Scheiben erneuern und dann mit Folien bekleben. Das erleichtert die Orientierung und sorgt für mehr Sicherheit“, sagt Dächert und spricht von einem Pilotprojekt. Es soll als Muster für andere Bahnhöfe dienen. Die Schmutzecke, derzeit alles andere als eine Visitenkarte, soll verschwinden.
Die kosmetische Behandlung der Ein- und Ausgänge zwischen Gleis 14 und den Treppen zu den Stadtbahnsteigen ist ein erster Schritt. Viel mehr treibt die Verantwortlichen von Stadtverwaltung und Bahn, Diakonie und Bahnhofsmission sowie Bundes- und Landespolizei bei einem Rundgang die Frage um: Wo bleiben all jene, die in dem Bereich nächtigen, die dort den Tag verbringen, entweder auf dem Boden sitzend oder liegend, entweder in Schlafsäcke gehüllt oder auf blankem Stein ausharrend? Ihre Zahl nimmt in dem Maße zu, in dem andere Aufenthaltsbereiche, beispielsweise am Rasch- oder am Weißekreuzplatz, verschwinden. Wohnungslose, Betrunkene, Drogenabhängige nutzen nach Einschätzung Dächerts den Hauptbahnhof als Bleibe. Sie meint: Damit lösen sie Konflikte untereinander aus, aber auch mit Fahrgästen.
Diese Entwicklung wirkt sich auf das subjektive Sicherheitsgefühl vieler der 280.000 Reisenden aus, die Tag für Tag den Hauptbahnhof nutzen. Erst im März dieses Jahres hatte eine Studie des Landes ergeben, dass rund ein Drittel der 16.000 Befragten den öffentlichen Nahverkehr oder bestimmte Straßen, Wege und Plätze meiden. 33 Prozent sagten, sie machten „häufig“ einen Bogen um solche Orte, 35 gaben an, das „immer“ zu tun. Allerdings hatte die Studie nicht untersucht, ob die Befragten überhaupt Bus und Bahn nutzen. Gleichwohl beunruhigt das Ergebnis nicht nur Innenministerin Daniela Behrens (SPD), die die Untersuchung vorgestellt hat, sondern auch Akteure am Hauptbahnhof.
„Der Bahnhof ist ein sozialer Raum, der für alle sicher sein sollte. Menschen, die auf dem Boden liegen oder aggressiv betteln, verstärken die subjektive Unsicherheit“, sagt Dächert. Als eine Lösung schlägt Diakoniepastor Friedhelm Feldkamp der Bahn deshalb vor, mobile Bänke aufzustellen. „Wenn die Menschen auf Bänken sitzen, wirkt der gesamte Bereich gleich ganz anders“, sagt er und plädiert für regelmäßiges Umsetzen der Freiraummöbel, um möglichen Nestbau zu verhindern. Dem Vorschlag zeigt sich Dächert durchaus aufgeschlossen, und doch offenbart er aus ihrer Sicht zugleich die Komplexität des Hauptbahnhofs.
Denn das Areal außerhalb des Bahnhofsgebäudes gehört nicht der Bahn, sondern der Stadt Hannover. Die müsste dem Mobile-Bänke-Konzept zustimmen. Außerdem müssten die Menschen, die sich dort niederlassen, sozial betreut werden. Eine Aufgabe für die knapp 30 Haupt- und Ehrenamtlichen der benachbarten Bahnhofsmission, die schon jetzt gezielt auf Reisende und Schlafende gleichermaßen zugehen. „Uns vertrauen die Menschen oft schneller, weil wir zwar an der Kleidung erkennbar sind, aber keine Uniform tragen“, sagt Leiterin Karen Hammerich. Und so gehört die stärkere Zusammenarbeit zwischen Bahn und Bahnhofsmission zu den Eckpfeilern des Pilotprojekts, das den Hauptbahnhof auch für die Fußball-EM sicherer machen soll – ohne Menschen zu verdrängen, wie Dächert betont.
Sie meint damit: Das Konzept öffnet die Möglichkeit für eine bessere Kommunikation zwischen Polizei, den städtischen Sozialarbeitern und Beschäftigten von Institutionen wie Stellwerk oder Mecki, die noch stärker als bisher als Anlaufstelle fungieren sollen. Und bei manch einem schwingt bei dem Spaziergang auch die Hoffnung mit, dass sich die Situation mit warmen Temperaturen entspannt – weil schlicht einige der Hauptbahnhof-Bewohner in Parks umsiedeln. Eines aber wird es kurzfristig nicht geben: sogenannte Quattro-Streifen wie im Hamburger Hauptbahnhof. Dort sind Beschäftigte von Bundes- und Landespolizei, Hochbahn-Wache und DB-Sicherheit gemeinsam unterwegs.
„Wir unterstützen uns“, sagt Detlef Lenger von der Bundespolizei. Eine gemischte Streife aber scheitere allein an rechtlichen Fragen, beispielsweise dem Datenschutz: „Als Polizei können wir ganz andere Daten abfragen oder erfassen als private Sicherheitsdienste“, sagt er. Daran ändere auch die Fußball-EM nichts – wenn möglicherweise mehr Beamte im Einsatz sein werden, um Fans zu betreuen und Reisenden ein Gefühl von mehr Sicherheit zu vermitteln.