Das ist seine Marathongeschichte: Nach dem Ende seiner Karriere als Tennisprofi im Jahr 2010 ging Kiefer 2012 erstmals auf die 42,195 Kilometer lange Strecke – in der Heimat Hannover. 3:39:09 Stunden brauchte er damals. „Dann habe ich beschlossen, dass es das nicht gewesen sein kann.“ Also war er im folgenden Jahr wieder dabei, 3:28:20 Stunden standen dann auf der Stoppuhr. Bis heute ist das seine persönliche Bestzeit. „Danach ging es mir richtig schlecht. Aber ich habe Blut geleckt. Und dann kam Berlin.“ Da machte Kiefer 2019 den Anfang in Sachen World Marathon Majors, auch wenn es damals noch gar nicht sein Plan war, alle sechs laufen zu wollen.
„Berlin war cool. Eine tolle Stimmung“, sagt Kiefer, der damals 3:54:55 Stunden benötigte. Marathon – der habe ihn schon während seiner Karriere gereizt, aber neben dem Tennis war mitzulaufen nicht drin. Aber eben danach. „Ich habe eine Herausforderung gesucht, die an die körperlichen Grenzen geht. Ich liebe den Zwiespalt, diese Herausforderung. Nach zehn Kilometern fragt man sich, wie man das durchhalten soll. Aber im Ziel ist es dann einfach überwältigend.“
Auch wenn der ehemalige Weltranglistenvierte beim Tennis viel erlebt hat, so ist Kiefer vor einem Marathon noch aufgeregt. „Aber beim Startschuss fällt die Last ab“, sagt er. „Was esse ich wann?“ Das ist eine der Hauptfragen, die er sich dann stellt. Seine Tennis- und Marathonbilanz in dieser Hinsicht: „Mittlerweile muss ich eine ganze Bananenplantage verdrückt haben.“
2022 folgten London und New York, beide Städte kennt Kiefer bestens. „In London habe ich im selben Hotel geschlafen wie damals bei Wimbledon. Beim Lauf war es brutal heiß.“ Kiefer war 3:59:23 Stunden unterwegs. Und New York? Klar, durch die US Open kennt er sich auch hier aus. „In den Central Park zu laufen, das war ein Erlebnis.“ Kiefer kam nach 3:59:04 Stunden ins Ziel – und hatte wieder viel zu erzählen. Wie von dem Bus, der sich auf dem Weg zum Start mit ihm drin zunächst verfahren hatte.
Ein Gespräch mit einem Freund hatte Kiefer da bereits recherchieren lassen. Dieser hatte ihm von den World Marathon Majors erzählt, Kiefer roch Lunte und beschloss, auch um die Plakette, die es für das Absolvieren aller sechs großen Marathons gibt, laufen zu wollen.
Vier Stunden, das war die Marke, unter der er stets bleiben wollte. In Tokio, im März 2023, wurde es heikel. Am Morgen vor dem Abflug zwickte beim letzten kleinen Trainingslauf in der Eilenriede seine Wade. „Ich habe jede Salbe, die ich gefunden habe, draufgeschmiert.“ Am Ende ging es gut, auch wenn Kiefer mit letzter Kraft ins Ziel sprinten musste: 3:59:53 – „das war eng“, sagt er.
Im Oktober 2023 folgte Chicago, 3:58:37 Stunden brauchte Kiefer dort. Und er hatte damit fünf von sechs Major-Sternen auf der Rückseite seines Laufshirts rot eingefärbt. Jetzt in Boston sahen das alle, die Kiefer überholten. Der Veranstalter hatte es gut gemeint, ihn mit der Startnummer 2004 (2004 holte Kiefer mit Rainer Schüttler im Doppel Olympiasilber in Athen) ausgestattet. Das hatte zur Folge, dass er in der ersten Welle „mit den ganzen Raketen“ starten durfte. „Du schaffst das!“ „Gut gemacht!“ „Noch diesen einen!“ Das waren Sätze, die Kiefer zu hören bekam – als er kämpfen musste.
„Nach 30 Kilometern wurde es verdammt eng, musste mich quälen.“ Dann kam die magische Hannover-Marke: noch sechs Kilometer. „Eine Maschseerunde. Aber es waren die schlimmsten Meter. Brutal, echte Schmerzen, schwere Beine, Krämpfe. Aber darum ging es, das war die Mission“, sagt Kiefer – der damit die „Was mache ich hier eigentlich?“-Frage beantwortet hatte. Seine Frau Anna wartete im Ziel – und auch die Majors-Plakette. Es gibt niemanden außer Kiefer, der alle Majors beim Tennis gespielt und eine Olympiamedaille geholt hat sowie alle Marathon-Majors unter vier Stunden gelaufen ist. Geschenkt, dass die Treppen von Bostons U-Bahn danach kaum noch zu bewältigen waren für ihn: „Das war es mir wert.“
Und was plant „Kiwi“ jetzt? 13 Marathons (fünfmal Hannover, dreimal Berlin, London, Chicago, New York, Tokio, Boston) hat er hinter sich. „Bevor ich 50 werde, muss noch was passieren“, sagt er. „Vielleicht alle sechs Majors in einem Jahr. Träume nicht dein Leben, lebe deine Träume. Ich werde mir etwas überlegen.“ Klar ist: 2024 kommt kein Marathon mehr hinzu. „Aber die nächste Challenge wird kommen“, sagt Kiefer.