Die Praxis zeigt, wie schwierig das sein kann. Viele Eltern nutzen exzessiv Medien, halten sich selbst aber für gute Vorbilder. Das geht aus einer Umfrage der Krankenkasse Pronova BKK hervor, für die 1000 Menschen befragt wurden, in deren Haushalt mindestens ein minderjähriges Kind lebt.
78 Prozent der Befragten sehen sich demnach als vorbildliche Mediennutzer und -nutzerinnen, gleichzeitig sagten 62 Prozent, dass sie zu viel Zeit mit Smartphone oder Computer verbrächten. Auch habe jede zweite Mutter oder jeder zweiter Vater schon mal das eigene Kind überhört, weil eine Whatsapp-Nachricht kam oder die Lieblingsserie lief. Zwei Drittel der Eltern werden von ihren Kindern hin und wieder darauf hingewiesen, dass sie zu viel Zeit vor Bildschirmen verbringen – bei 17 Prozent äußern sie diese Kritik sogar häufig.
Auch eine Studie aus den USA, veröffentlich im „Fachblatt Journal of Developmental & Behavioral Pediatrics“, zeigt: Es ist eine ständige Herausforderung, die Balance zu finden. Einerseits formulierten die meisten Eltern den Wunsch, zu Hause zu sein und Zeit für die Familie zu haben, andererseits ermöglichten es die technischen Hilfsmittel, jederzeit und von überall auf Angebote und Botschaften zu reagieren.
„Kaum ist der Vater von der Arbeit nach Hause gekommen, da ploppt schon eine Nachricht auf dem Handy auf, per Klingelton macht sich die E-Mail bemerkbar, und die Mutter muss noch einen Text verfassen. Ganz schnell natürlich“, beschreibt Karl Heinz Brisch, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, eine typische familiäre Situation. „Das sind schlechte Vorbilder“, meint er.
„Kinder sehen ständig, wie ihre Eltern mit dem Handy beschäftigt sind, und sie denken sich: Das ist ganz normal, das ist Teil der Kommunikation.“ Auch zu den Mahlzeiten sei das oft eine große Diskussion: „Da sitzt die Familie gemeinsam am Tisch, aber alle sind online beschäftigt.“
Allerdings sei es für Eltern heute oft auch gar nicht so einfach, in Sachen digitaler Mediennutzung Vorbild zu sein, findet Langer. „Sie haben in ihrer Kindheit Erfahrung mit Fernsehen, Radio, eventuell auch schon mit digitalen Spielen gesammelt. Doch daraus ergibt sich noch kein Muster, das sie auf ihre momentane Familiensituation mit einem immer stärker digitalisierten Alltag übertragen können.“
„Fakt ist, dass das Smartphone in den meisten Familien den Alltag bestimmt“, sagt Langer. Ob auf der Straße, in der Bahn oder zu Hause: „Schon ganz kleine Kinder nehmen Erwachsene wahr, wie sie auf einen Bildschirm schauen und damit agieren. Das suggeriert: ‚Wenn ich groß bin, darf ich das auch‘, beziehungsweise ‚Mit so einem Gerät bin ich erwachsen‘“, erklärt die Fachfrau.
Eltern müssten sich deshalb darüber im Klaren sein, dass sie Verantwortung tragen. „Das heißt auch, dass sie sich über die Inhalte informieren, die ihr Kind im Internet nutzt – was sind das für Spiele, die gerade angesagt sind? Und dass sie Haltung zeigen – wenn zum Beispiel das Argument kommt: Alle aus meiner Klasse haben oder dürfen dieses oder jenes!‘“, sagt Langer. „Außerdem müssen sich Eltern bewusst machen, dass es neben der Arbeitszeit nun auch eine Familienzeit gibt.“ Mitunter könnten zwei Smartphones – eins für die Arbeit, eins für private Zwecke – die Lösung sein, um die digitale Mediennutzung zu organisieren und im Blick zu behalten.
Um sich selbst zu kontrollieren, könnten auch die Auswertungen der Nutzungszeiten auf dem Smartphone helfen. Je nach Gerät sind sie etwa bei „Bildschirmzeiten“ oder „Digital Wellbeing“ zu finden. „Oder Eltern erstellen ein Medientagebuch, in dem sie zum Beispiel eine Woche lang notieren, wann sie welche Medien wie lange nutzten“, empfiehlt Langer. „Wichtig sind auch die traditionellen Medien wie Bücher, Kino, Theater – wenn auch Eltern diese gern nutzen, sind sie auch hier prägende Vorbilder.“ So könnten das abendliche Vorlesen oder der Familienkinobesuch ein festes Ritual sein.
Doch Langer sagt auch: „Nicht immer sind Eltern, die auf ihr Handy schauen, während sie ihr Kind ausfahren oder auf dem Spielplatz stehen, automatisch gleich unachtsam oder gedankenlos.“ Das Smartphone ermöglicht eben auch, den Alltag schnell zu organisieren. „Darunter fallen auch Absprachen wie Abholzeiten oder Arzttermine.“
Eine permanente Ablenkung durch digitale Medien habe jedoch gravierende Folgen, sagt Birsch. „Schon Babys sind hochgradig auf Interaktion aus. Sie brauchen ein aktives Gegenüber, um sich normal entwickeln zu können.“ Er habe häufig die Situation in Bus oder Bahn beobachtet: „Eltern steigen mit Kinderwagen ein und schauen sofort auf ihr Handy. Die Kinder versuchen noch mal kurz, auf sich aufmerksam zu machen, schalten dann aber ab und starren vor sich hin.“
Häufig würden die Eltern schon ihre Babys mit einem Handy ruhigstellen. „Bunte, bewegte Bilder – das fasziniert die Kleinen“, so der Bindungsforscher. „Doch die Filmchen sind nicht auf sie abgestimmt. Und die Gefühle wie Stress, Angst oder Unsicherheit werden von den Eltern nicht wahrgenommen.“ Ob für die körperliche oder die seelische Entwicklung: „Nähe und emotionaler Blickkontakt sind für Kinder in jedem Alter wichtig. Für Drei- bis Sechsjährige hat zudem die soziale Interaktion eine wachsende Bedeutung: Sich miteinander abzustimmen, Rücksicht zu nehmen – das lernen sie vor allem im Miteinander.“
Brisch konkretisiert: „Niemand erwartet von Eltern, dass sie 100 Prozent ihrer Zeit für die Kinder aufbringen.“ Es gehe vielmehr um eine regelmäßige Interaktion, Aufmerksamkeit und Zuwendung. Dabei könnten bestimmte digitale Tabuzeiten wichtig sein – zum Beispiel bei den gemeinsamen Mahlzeiten.