Gäbe es eine hannoversche Meisterschaft der ungewöhnlichsten Konzertorte, dann ist dieser hier ein heißer Titelkandidat: der Tunnel unter der Megakreuzung Friederikenplatz, der den Platz der Göttinger Sieben am Landtag den Waterloo-Biergarten verbindet. Da steht neuerdings ein Klavier. Und der hannoversche Sänger und Pianist Darian Tabatabaei gibt dort ein Premieren-„Konzert“ am Samstag, just als die Fußballfans mit einem 2:2 im Rücken aus dem Stadion kommend in Richtung Altstadt strömen. Es gibt also reichlich und begeistertes Publikum für Tabatabaei, der mit seinen eigenen Songs aus dem Instrument in der Manier von Elton John und Meat Loaf alles an Glamour und Rock’n’Roll rausholt, was drinsteckt.
Aber warum steht da eigentlich jetzt ein Piano im Fußgängertunnel? Die verblüffend einfache Antwort ist: einfach so!
„Pianobombing“ ist das Schlüsselwort. Es steht dafür, Klaviere frei für jedermann und jede Frau im öffentlichen Straßenraum aufzustellen. „Bombing“ im Sinne von hereinplatzen. In Städten mit wesentlich größerem urbanen Ego gibt es das schon, jetzt auch in Hannover: Und zwar gleich an vier Orten. Eines in der benannten Unterführung, eines unter einem Vordach der Galerie Kubus an der Ecke Marktstraße/Theodor-Lessing-Platz, eines im Durchgang vom Künstlerhaus zum Schauspielhaus im „Kulturdreieck“ und eines im Herzen der Nordstadt in einer Tordurchfahrt am Klaus-Müller-Kilian-Weg, der die Rehbockstraße und den Schneiderberg über das Sprengelgelände verbindet.
Hinter dem „Pianobombing“ steht das „Kunst Duo Drünter&Dünkelhaft“, das laut Webseite „Chaos Consulting“ anbieten. Einer der Initiatoren ist der umtriebige Daniel Pflieger, so eine Art Till Eulenspiegel der hannoverschen Stadtverschönerung. Er hat schon Google Maps auf dem digitalen Stadtplan den Weg „Sterzer-Stich“ nahe dem Küchengarten untergejubelt, den es nicht wirklich gibt, der dort aber immer noch angezeigt wird. Er steckt hinter der Posse um den Satire-Zoo „Nutria World“ und bemüht sich derzeit auch um den Erhalt des Telemoritz’.
Nun also die Pianos. „Drünter&Dünkelhaft“ haben die teils arg abgerockten Pianos auf der Kleinanzeigenplattform eBay aufgetrieben: „kostenlos für Selbstabholer“. In einer Werkstatt haben sie die Instrumente wieder spielbar gemacht und stimmen lassen. Außerdem haben sie Graffiti-Künstlerinnen und -Künstler gewonnen, die die Pianos teils sehr bunt und kunstvoll gestaltet haben. Barbara Paulin hat das designt, an dem Tabatabaei die Premiere spielt (es kleben jetzt auch schon 96-Sticker drauf). Auch „Zike“ ist dabei. Vor einiger Zeit erfreute der anonyme Guerilla-Künstler Menschen in der Oststadt und der List mit seinen bunt bemalten „Monkeystones“ und Gute-Laune-Smiley-Straßenschildern etwa an der Bödekerstraße. Die durften da natürlich laut Vorschrift überhaupt nicht hängen.
Und wie ist das bei den Pianos, darf man die einfach irgendwo hinstellen in der Stadt? Klar, natürlich nicht, wenn sie den Verkehr behindern oder Rettungswege blockieren oder Anliegern zur Unzeit unzumutbar die Ruhe stören. Aber sonst?
Hannover ist Unesco City of Music, und zwar seit inzwischen zehn Jahren. Die Pianos sind der Stadt zu diesem Jubiläum zum Geschenk gemacht, wie Daniel „Dünkelhaft“ Pflieger erklärt. Diese Unesco City of Music Hannover ist aber gerade eben auch stark herausgefordert, die Weg-Gentrifizierung ihres Musikzentrums zu verhindern; Ausgang offen. In dieser Situation von Amts wegen etwas gegen die geschenkten Pianos zu unternehmen, das wäre für eine Musikstadt ... sagen wir mal: eigenwillig.
Es bleiben zwei Fragen. Die Erste: Was ist mit Vandalismus? Die „Pianobombing“-Organisatoren setzen darauf, dass die Kunstobjekt-Instrumente Trunkenbolden und Haudraufs ausreichend Ehrfurcht einflößen und dauerhaft von Zerstörungswut verschont bleiben. Und zweitens: die Musik. Wir sind eben Unesco City of Music und nicht Unesco City of Flohwalzer. Also bitte, Hannover, mach was draus und zeig, was du kannst!
Mindestens drei weitere Klaviere sind übrigens schon in der Werkstatt, und die Suche nach Standorten läuft im Hintergrund.
Transparenzhinweis: Der Autor steht in keiner Verbindung mit „Drünter&Dünkelhaft“, hat aber Sänger und Pianist Darian Tabatabaei für das Kick-off-Konzert am Jedermann-Klavier eingeladen.