Noch steht das Modell in einer Büroetage am Rande der Südstadt – aber inzwischen haben sich mehrere potenzielle Investoren und auch schon fast alle entscheidenden Verkehrspolitiker der Stadt Hannover das Projekt angeschaut.
Zwei Firmen haben ihr Wissen zusammengeworfen. Einerseits Graphmasters von Sebastian Heise aus Marienwerder, die die mehrfach ausgezeichnete Navigationssoftware Nunav entwickelt hat, mit der unter anderem Hermes bundesweit Pakete ausliefert und mit der der Apothekenspediteur Pralle und die Köln-Messe ihre Logistik planen. Privatleute können Nunav gratis nutzen. Dazu das 2021 in Hannover gegründete Modellbauunternehmen Kubitur, das mit 3-D-Druckern Stadt- und Architekturmodelle realisiert.
Entstanden ist eine nach Angaben der Macher bislang einmalige Simulationswelt. Hannovers Kernstadt zwischen dem Lindener Heizkraftwerk im Westen und dem Kuppelsaal im Osten liegt den Betrachtenden im Modellformat 1:2000 gewissermaßen zu Füßen. Auf die Fläche lassen sich in Leuchtfarben Grafiken projizieren. Die Lärmdaten etwa, die die Krachausdehnung in Hannover zeigen. Die Hitzekarte mit Hannovers Luftschneisen und Wärme-Hotspots. Perspektivisch auch eine Hochwasserkarte, die je nach Wasserstand die Überflutungsgebiete variiert. Und eben die Verkehrsdaten.
Weil in einer Stadt fast alle Handys und Navigationsapps Bewegungsdaten an die Computerserver zurückspiegeln, verfügen Firmen wie Graphmasters über riesige anonymisierte Geodaten, um ein realistisches Abbild der Realität darzustellen.
Auto für Auto lässt sich so nachvollziehen, wie beim Schnelldurchlauf eines typischen Werktags die Kernstadt Hannovers morgens immer voller wird, wie Autos irgendwann mehr stehen als fahren und die Menschen hinterm Steuer dann beginnen, sich Ausweichrouten zu suchen. Genau diese Schleichwege durch die Innenstadt sind es, die die Stadtspitze mit ihrem Projekt der autoarmen Innenstadt vermeiden will.
Die Physik führt dazu, dass beim Verstopfen von mehrspurigen Straßen die Ausweichrouten noch viel schneller verstopfen. Wer es in der Theorie nicht versteht, sieht es eindrucksvoll am virtuellen Modell: Wenn sechsspurige Straßen wie der Friedrichswall plötzlich nicht mehr passierbar sind, sind einspurige Ausweichstrecken durch Oster- und Karmarschstraße erst recht überfordert. „Wir sind sicher: Wäre dieses Modell vor ein bis zwei Jahren verfügbar gewesen, dann hätte es den Koalitionskrach im Rathaus nicht gegeben“, sagt Technik-Projektchef Schulz.Digitale Ansichten, die den motorisierten Individualverkehr weitgehend in Echtzeit abbilden, gibt es bereits mehrere. Die Besonderheit des neuen Modelltyps, den die Hannoveraner unter der Marke Stadtbewegung europaweit verkaufen wollen, ist das Zusammenführen dieser digitalen Bewegungsdaten mit Simulationen zum Ausweichverkehr – und das alles vereint in einem dreidimensionalen, anfassbaren Modell.
Denn je digitaler die Welt werde, desto wichtiger seien haptische Modelle, sagt der studierte Architekt und Modellbauspezialist Jascha Baumgardt von Kubitur. Der Aufwand allerdings ist enorm. 1200 Stunden Druckzeit seien allein für das rund zwei Quadratmeter große Hannover-Modell benötigt worden.
„Das Modell bereitet Digitaldaten auf, realisiert sie in analoger Drucktechnik und ist dann Projektionsfläche für digitale Bewegungsdaten“, fasst Baumgardt den komplexen Prozess zusammen. Gerade dieses Zusammenspiel mache den Reiz aus. „Wir haben die Möglichkeit, Stadtplanung erlebbar zu machen“, sagt Nico Schulz von Kubitur.
Zahlreiche Bau- und Verkehrspolitiker des Rates sollen sich die Simulationen bereits angeschaut haben. In Kürze wird auch die Spitze des Baudezernats zur Präsentation erwartet. Ihre Heimatstadt Hannover wollen die Macher zur Pilotstadt ausrufen. „Man kann Diskussionen über konkrete Fragen von Straßensperrungen viel zielgerichteter führen, wenn man den Menschen zeigen kann, wo Ausweichverkehre entstehen und was sie für Belastungen erzeugen“, sagt Innenstadthändler Jörg Stichnoth. Der Goldschmied unterstützt den Aufbau der Firma Stadtbewegung als einer der Investoren.
Das Unternehmen will eine mehrjährige Zusammenarbeit mit Hannover, um Verkehrsmodelle zu berechnen, und würde sich dafür am liebsten auch die Daten von den Verkehrsrechnern der Stadt wünschen, die mit Sensoren an etlichen Kreuzungen Einblicke in die Entwicklung von Verkehrsmengen erlauben. Später soll es auch Variationen etwa für Radverkehr und Fußgänger geben.
Was das die Stadt kosten würde? „Das hängt davon ab, wie ganz konkret der Untersuchungsauftrag lautet“, sagt Stichnoth. Natürlich werde man von der Heimatstadt Hannover weniger nehmen als von Berlin oder Paris. Der Vorteil liege aber auf der Hand. Mit der neuen Technik ließen sich Bewegungen auf Knopfdruck für beliebige Zeitspannen abfragen, zudem könne man die Auswirkungen von Eingriffen viel großräumiger beobachten.
„Und das Ergebnis lässt sich an einem dreidimensionalen Modell viel leichter begreifen“, ist Schulz’ Erfahrung. „Wer hier zu uns hereinkommt, sagt erst mal: wow.“