Denn auch an diesem Wochenende wird der NDR-Journalist in seiner Dachwohnung im vierten Stock in Linden-Nord wieder 30 Klappstühle aus einem Verschlag im Treppenhaus holen, den Esstisch zur Seite rücken, Sofa und Sessel auf die improvisierte Bühne vor dem Kühlschrank ausrichten, ein Büffet mit Bier, Wein, Limo, Knabberkram und Gummibärchen aufbauen – und 40 fremde Menschen zu einem kleinen, feinen Konzert bitten. „Ich bringe gerne Leute zusammen“, sagt er vergnügt.
Im Oktober 2020 startete Heuer die Reihe, die nie als Reihe geplant war. Es waren dunkle Zeiten damals. „Es war Corona, alles war zu.“ Also luden Heuer und seine damalige Lebensgefährtin, die Sängerin Tinatin Tsereteli (41), zu einem privaten Abend mit Musik. Tsereteli und Anna Selvadurai sangen, eine überschaubare Zahl an Menschen saß mit Abstand und Maske im Wohnzimmer und lauschte. Ein schöner Abend, aber „danach war monatelang Pause“. Bis Marco Heuer im Internet auf Songs von Christina Sprenger stieß, einer Sängerin aus Malchow (Mecklenburg-Vorpommern).
„Ich bin sogar hingefahren, um sie vorab zu treffen“, berichtet er von einer abenteuerlichen Reise im Lockdown, als es nur schwer möglich war, eine legale Übernachtungsmöglichkeit zu finden. „Aber es gibt zu jedem Gig eine kleine Geschichte zu erzählen“, freut sich Heuer. Denn es kamen noch viele Gigs, Lesungen, sogar Klassikabende. 450 Menschen haben Heuers Newsletter abonniert, mit dem er die Fangemeinde auf dem Laufenden hält, was vor dem „Red Fridge“, dem Kühlschrank im Look einer englischen Telefonzelle, zu hören und zu sehen ist. „Nach dem Namen für die Reihe haben wir lange gesucht“, erinnert er sich.
Bernadette La Hengst (57) hat im vierten Stock gesungen, ARD-Meteorologe Sven Plöger (56) über das Wetter gesprochen, es kamen Bands aus Hannover, Berlin und Hamburg, Vanessa Anne Redd aus London schaute in der Velberstraße vorbei, weil sie gerade mit Phillip Boa & the Voodooclub in Hannover auf Tour war. Nun feiert „Red Fridge“ dreieinhalbten Geburtstag. Oder Jubiläum. Oder einfach eine beeindruckende Zahl an Auftritten. „Red Fridge geht aus“ heißt das Motto am 12. April und 7. Juni – Heuer organisiert dann Konzerte in der „Marlene“ (Prinzenstraße 10).
Auf die Idee gebracht hat ihn Cyril Krueger, der Frontman der Partyband The Jetlags hat Heuers Wohnzimmer bereits zweimal ausverkauft. Gemeinsam habe man herumgesponnen, ein paar Telefonate geführt – „und dann wurden sogar zwei Abende daraus, alle mit ehemaligen Künstlerinnen und Künstlern“. Auch Christina Sprenger ist wieder dabei, die Sängerin aus Malchow, die inzwischen in der Schweiz lebt, Hannover-Größen wie Diana Babalola (31) und Martin Hauke (52) machen mit, Cyril Krueger natürlich auch. Der erste Termin ist bereits ausverkauft.
Wie erklärt sich Heuer das große Interesse an den „Red Fridge“-Angeboten? „Die Menschen sind neugierig. Und sie wollen den Austausch“, glaubt der Journalist, der bei vielen Besucherinnen und Besuchern schon im Treppenhaus „ein Funkeln in den Augen“ sieht. Er weiß, woher das kommt: „Es ist die Intimität des Raumes. Ich öffne meine Wohnung, ich gebe vieles preis.“ Nach einem Abend in Linden weiß man zum Beispiel, dass Heuer seine Bücher im Regal alphabetisch und nach Gattungen ordnet, dass er viel reist, dass neben dem Plattenspieler in der Jukebox eine Madonna-LP in einer Holzkiste steht.
Heuer liebt seine Gastgeberrolle. „Es hat etwas Meditatives, am nächsten Morgen drei, vier Stunden alles wieder aufzuräumen“, sagt er gut gelaunt. Wobei es nie nach einer wilden Party aussehe, das Publikum verhalte sich gesittet. Deshalb seien ihm auch die Nachbarn wohlgesonnen. „Wir halten uns an die Regeln“, sagt er über die Lautstärke, geraucht werde nur am Fenster im Treppenhaus, um 22 Uhr sei Schluss. Zumindest mit Musik, das Publikum („hier sind Freundschaften entstanden“) quatsche sich manchmal fest. „Ich bin auch schon mal ins Bett gegangen und habe die letzten Gäste gebeten, die Tür hinter sich zuzuziehen.“
Der Eintritt von 15 Euro geht als Gage an die Künstler – für Getränke, Knabberkram und fünf Pizzen, die er in der Konzertpause aus dem „Café Kalah“ im Erdgeschoss holt, stellt der 49-Jährige eine Spendenbox auf. „Ich schaffe es immer, die Unkosten zu decken“, sagt er optimistisch.
Seiner Freundin hatte Heuer eigentlich versprochen, dass er nicht mehr als zehn „Red Fridge“-Termine im Jahr macht. „Jetzt sind es schon zwölf bis zum Sommer“, sagt er zerknirscht. Da kommt bestimmt noch was ...Anmeldungen für Konzerte nimmt Marco Heuer über Facebook (marc_o_heuer) und über Instagram (#redfridgelinden) an. Tickets kosten 15 Euro, Start ist in der Regel um 20 Uhr. Nächste Termine sind Cynthia Dahlke & Francesco Zuppello (Country, Blues und Folk, 23. Februar), Phonotom (Poprock, 24. Februar), Philip Siegel (Lesung zum Thema „50 Jahre Legalisierung von Pornografie“, 1. März), Udo Schmidt (NDR-Reisereporter, 22. März), Christoph Quarch (Lesung über die 1980er-Jahre, 23. März), Caroline Cotter (US-Singer-Songwriterin, 14. April) und Diana Babalola (Soul, 26. April). „Red Fridge geht aus“ am 12. April ist ausverkauft, für den 7. Juni (mit Diana Babalola, Martin Hauke, Annie Heger, The Sparrows) gibt es Tickets für 20 Euro in der „Marlene“ (Prinzenstraße 10). Am 8. Juni gibt es eine Modenschau des Labels „Dörpwicht“ im Baustoffmarkt an der Südfeldstraße.