Beruflich sei für ihn vor neun Jahren ein Traum in Erfüllung gegangen, erinnert sich der 44-Jährige. Als Schirrmeister ist er für den rund 10 Millionen Euro teuren Fuhrpark sowie die Ausrüstung der mehr als 100 Aktiven zuständig. „Das Wohnen gehört nun mal dazu“, sagt er. Von dem schnellen Weg über den Hof profitiere er auch als Ortsbrandmeister und bei Einsätzen. „Ich muss nicht quer durch Laatzen fahren, sondern kann einfach rübergehen und mir schon mal in Ruhe Gedanken machen, während die anderen noch auf der Anfahrt sind.“
Kurze Wege und schnelle Erreichbarkeit sind Vorteile, aber auch Nachteile. Fix eine neue Ladung Wäsche anzuwerfen, geht in Hausschuhen genauso wie eine doch dazwischen geschobene Besprechung oder Erledigung, die bei anderen Wohnverhältnissen verschoben worden wäre. Da gehen privat und beruflich immer wieder ineinander über.Sven Wenger entgeht auch nach Feierabend und am Wochenende keine Bewegung auf dem Gelände. Betritt jemand außer der Reihe die Feuerwache, erhält er eine Nachricht aufs Handy. Und wenn Kameraden nach ihren Erledigungen vergessen, die Alarmanlage wieder scharf zu schalten, muss er los. Wenn man Fahrzeuge und Gerätewerte zusammenrechnet, stehen schließlich rund 10 Millionen Euro hinter den Rolltoren.Die Adresse am Sankt-Florian-Weg ist bekannt. Vereinzelt hätten auch schon Bürger einfach so bei ihnen vor der Tür gestanden, um Einsätze kritisch zu hinterfragen oder – was mehr erfreute – der Feuerwehr für ihre Hilfe zu danken, wie nach dem Weihnachtshochwasser. Tochter Michelle blickt aus ihrem Zimmer direkt auf die Rolltore. Dabei muss die 17-Jährige gar nicht hingucken. Die Fahrzeuge erkennt die Jugendliche an ihrem individuellen Geräusch, dem Piepen der Einparkhilfe. „Der Einsatzleitwagen hat einen helleren Sound, das Löschfahrzeug klingt dunkler“, sagt sie.
Anders als ihre Mutter hat sich die Sozialpädagogische Assistentin und angehende Erzieherin von Beginn an über den Umzug gefreut: „Ich fand das cool.“ Bei Kindergeburtstagen wollten die Freunde stets die Fahrzeughalle sehen, und anders als in Grasdorf gab es einen eigenen Garten mit nur noch einem Nachbarn im Obergeschoss.
Wie ihr Vater ist Michelle Wenger seit Langem bei der Feuerwehr engagiert, erst bei den Kindern, dann in der Jugend und als Betreuerin. Inzwischen rückt sie als aktive Feuerwehrfrau etwa 120-mal im Jahr mit aus. Bei Einsätzen sei ein Gong auf dem Gelände zu hören, berichtet sie – ein Dreiklang, wie in der Schule: „Ding-dang-dong.“
Mit jährlich mehr als 350 Einsätzen im Jahr ist die Ortsfeuerwehr Laatzen oft gefordert und das Privatleben der Wengers entsprechend betroffen. Mehrere Feiern seien schon von Alarmierungen gesprengt worden, erzählen sie. Etwa 2016, als sie ihren Einzug feiern wollten, berichtet Ramona Wenger. Ein Großteil der Gäste stand auf und lief los. Sein Bruder, dessen Frau und die Kinder seien alle bei der Feuerwehr, ergänzt Sven Wenger: „Bei einem Familienkaffeetrinken kann es sein, dass nur noch Ramona sitzen bleibt.“ So spontan die Arbeit ins Privatleben drängen könne, so diszipliniert lasse ihr Mann die Arbeit außerhalb der heiligen vier Wände. Telefonate beende er vor der Tür, erzählt Ramona Wenger – oder er gehe dafür nach draußen. Sie habe sich an das Leben auf dem Gelände und in dem Haus gewöhnt, sagt die 50-Jährige. Der Umzug habe die Kinderbetreuung und ihre Berufstätigkeit vereinfacht, weil ihr Mann nun in der Nähe war. Außerdem sei der rückseitig liegende Garten ein wichtiger Rückzugsort geworden. Sie lese viel und gärtnere gern. Den Familienhunden Muck und Perla, die beide aus einer spanischen Tötungsstation kommen, gefällt es dort ebenfalls.
Wer erst einmal im Haus ist, könnte vergessen, wo es steht. Die Fenster der meisten Räume zeigen in andere Richtungen. Von der Erdgeschosswohnung weisen neben Michelles Zimmer nur noch zwei weitere Räume Richtung Feuerwache: der Hausflur mit Glastür und das Gäste-WC. Gleichwohl ist dem Schirrmeister und Ortsbrandmeister stets bewusst: „Es ist null Abstand.“
Während andere Feuerwehrleute die räumliche Distanz haben, bekommen die Wengers durch den Gong und das Treiben auf dem Gelände stets viel mit. Wenn sie wirklich Ruhe haben wollten, fahren sie deshalb weg – mit ihrem Camper. Ost- oder Nordsee mögen sie besonders („Wir sind Meer-Menschen“), aber auch in Schweden, den Niederlanden, Italien und Dänemark waren sie schon.
Die Familie hat sich arrangiert, und unterm Strich überwiegen für sie die Vorteile. Dem großen Traum von Sven Wenger steht daher nichts im Wege. Wie lange er noch als Schirrmeister in der Dienstwohnung bleiben will? Wenn es nach ihm ginge, sagt der amtierende Orts- und designierte Stadtbrandmeister von Laatzen strahlend: „Bis zur Rente.“