Der Acht-Sekunden-Clip mit dem Titel „Es geht richtig los in Laatzen“ zeigt einen Schwenk über eine Häuserzeile an der Hildesheimer Straße. Vor der Hausnummer 52 parken zwei Polizeiwagen mit Blaulicht. Ein dunkles Auto steht auf dem Gehweg vor der Hausnummer 54. Zu hören ist ein fremdsprachiger Ruf eines Mannes, gefolgt von Schüssen, die an ein Maschinengewehr erinnern.
„Schlimm, was in Laatzen los ist“, „Krass erlich“ (Schreibweise übernommen) und „Warum kommt sowas nicht in den Medien“ heißt es in der Kommentarspalte oder auch „Das ist erst der Anfang“ und „wie gewählt, so erhalten“. User j.sech schreibt: „Fachkräfte bei der Arbeit ist von unserer Regierung so gewollt.“ Zwar weisen Einzelne immer wieder auf die eingespielte Tonspur hin, was der Creator des Videos mit lachenden Emojis kommentiert, doch die Gesamtstimmung bleibt aufgeheizt: vor allem gegen Regierungsparteien und Ausländer. Positive Äußerungen gibt es über die AfD, wofür auch die Kommentare mit blauen Herzen stehen.
Der Polizei ist zwar das Video bekannt, nicht jedoch das Aufnahmedatum. Es habe in den vergangenen Monaten mehrere Einsätze wegen verschiedener Anlässe in dem Bereich gegeben, erklärt Christian Ferbert, Ermittlungsführer im Polizeikommissariat Laatzen. Schüsse seien nicht gefallen. Waffeneinsatz gegen Personen sei stets die absolute Ausnahme. Er wisse nicht, wann dies jemals in Laatzen passiert sein sollte.
„Leute machen sich einen Spaß daraus, andere zu verunsichern – das ist schlimm“, sagt Laatzens stellvertretender Ortsbürgermeister Siegfried Karl Guder (CDU), der das Video anfangs selbst für wahr hielt, wie er zugibt. Auch SPD-Ratsherr Harald Zietz, der nach den Silvesterkrawallen 2023/2024 Gespräche zum Thema Sicherheit in Laatzen initiiert hatte, übt Kritik an der Stimmungsmache. „Wir müssen unheimlich aufpassen.“ Alle Demokraten stünden zusammen.
Die Reichweite von 900.000 Views sei bemerkenswert, sagt Michael Kleen (Gemeinschaft Freie Wähler), ebenso wie die Ängste schürenden Kommentare. Sicherheit sei zwar ein Thema in Laatzen, und das gelte es nicht nur wegen Silvester im Blick zu behalten. Die Situation sei aber auch nicht so unsicher wie dargestellt.
Die Polizei sieht rechtlich keine Handhabe. Das Video verletze weder Persönlichkeitsrechte noch erfülle es einen anderen Straftatbestand. „Es ist ein Originalvideo, mit Schüssen hinterlegt, und das kann man so nicht verbieten“, betont Ferbert. Vielmehr gehöre es in die Kategorie Kunstfreiheit. „Mittlerweile findet man im Netz alles“, so der stellvertretende Leiter des Laatzener Kriminal- und Ermittlungsdienstes. Manipulierte Videos oder Fotos seien nicht alltäglich, kämen aber vor. Das Entfachen von Ängsten scheine straffrei zu sein, schlussfolgert daraus Thomas Weber, Ratsfraktionschef der Grünen. „Ob das richtig ist, damit tue ich mich schwer.“ Die staats- und ausländerfeindlichen Aussagen unter dem Video hätten ihn schockiert. „Ich glaube, dass solche Kommentare ein Gefährdungspotenzial für unsere Gesellschaft darstellen.“Das Video, bei dem Bild und Ton offenkundig nicht zusammenpassen, sei weder verwerflich noch justiziabel, sagt der Vorsitzende der CDU-Ratsfraktion, Fabian Bodenstab. Dafür seien Kommentare wie zum versteckten Ausländerhass erschreckend. Problematisch sei zudem die „verkürzte Aufmerksamkeit“ von Usern, die sofort fragten ‚Wo ist das?‘ und ‚Ist das echt?‘, als selbst nachzudenken. „Das Video zeigt uns, wie Leuten minimalste Impulse reichen, um in irgendeine Richtung zu reagieren.“ Aus dem Nichts eines Acht-Sekunden-Clips werde abgeleitet, was alles schieflaufe und wie es besser zu machen sei. „Wir haben bald wieder Wahlkampf“, so Bodenstab. Die Menschen könnten auch direkt mit Parteien sprechen.
Auch der sogenannte Creator des Videos äußerte sich. Auf die Anfrage, warum er das Bildmaterial noch extra mit Schussgeräuschen unterlegt und gepostet habe, antwortete er: „Wer will nicht viral gehen.“