„Ich bin glücklich, dass ich alles überstanden habe“ Hannovers SDP-Chef Adis Ahmetović spricht über sein Leben nach dem Krebs
Bei einem Spaziergang durch die herbstliche Eilenriede hat Hannovers SPD-Chef Adis Ahmetović von seinem Kampf gegen die tückische Krankheit, Kartenspielen mit Mama und Kuchen mit Ex-Vizekanzler Philipp Rösler erzählt.Es ist ein Bilderbuch-Herbsttag: Die Blätter der Bäume in der Eilenriede sind goldgelb bis rot leuchtend, segeln sanft von den Wipfeln, Sonnenstrahlen bahnen sich ihren Weg durchs Geäst. Entspannt streckt Adis Ahmetović (31) seinen Kopf der Sonne entgegen. „Schön, oder?!“ Er sagt es, er fragt nicht. Momente wie diese hat der Bundestagsabgeordnete zuletzt selten erlebt, obwohl sie selbstverständlich sind. Vermeintlich.„Plötzlich bestimmten Prozente auf andere Art, wie es in meinem Leben weitergeht“, sagt Ahmetović in Anspielung auf die Zahlenwerte, die das politische Geschäft bestimmen. Es ist das erste Mal, dass er mit uns öffentlich ganz persönlich über seine gerade erst überstandene Erkrankung spricht. Im Frühjahr hatten Ärzte Krebs diagnostiziert, fünf Monate wurde er in der MHH wegen eines Hodgkin-Lymphoms behandelt. Ein Schock für ihn, seine Familie, sein privates wie berufliches Umfeld, auch wenn die Heilungschancen bei dieser Art von Krebs 80 bis 90 Prozent betragen.Auf einer Mexikoreise Ende Februar 2024 merkte Ahmetović, dass „etwas nicht stimmte“. Etwas nicht stimmte? Hatte er Schmerzen? „Nein. Mir fehlte die Leichtigkeit.“ Vorzeitig reiste der SPD-Politiker ab, ging zum Arzt. Bis er die konkrete Diagnose bekam, sollte allerdings Zeit vergehen. Viele gingen schlichtweg von Stress aus. „Ich saß im Bundestag auf meinem blauen Stuhl, als sich meine innere Stimme wieder meldete“, erinnert er sich an den 11. April 2024, einen Donnerstag. Er suchte in der Berliner Charité Hilfe. Wenige Tage später saß er erneut in einer Sitzung, als ihn der vorläufige radiologische Befund erreichte. „Ich scrollte in meinem Handy und stieß schließlich auf die Passage ‚Verdacht auf einen Tumor‘.“ Für einen Moment stand die Welt still. Seine Welt. Der Hannoveraner verließ abrupt die Sitzung, setzte sich ins Auto. „Ich kam damit nicht klar. Es war wie ein Anschlag auf mein Leben.“Ahmetović hatte es als Sohn bosnischer Flüchtlinge mit seiner politischen Karriere weit gebracht. Als Teenie tritt er in die SPD ein, wird Juso-Chef, arbeitet sich bis in die Staatskanzlei hoch, wird SPD-Büroleiter und schließlich persönlicher Referent von Ministerpräsident Stephan Weil (65). 2020 wird Ahmetović Chef der hannoverschen SPD, im Jahr darauf sitzt er als einer der jüngsten Abgeordneten im Bundestag. Dann der gesundheitliche Schock. „Ich war tagelang wie paralysiert“.Es dauerte, bis er den Schalter umlegen konnte, „um den Wettbewerb anzutreten, den ich unbedingt gewinnen wollte“. Er vergleicht das letzte halbe Jahr mit einem Marathon: „Mal lief es besser, mal schlechter. Man quält sich, und dann reicht einem jemand nach fünf Kilometern eine Wasserflasche, und du läufst weiter.“ Leute, die Sportlerinnen und Sportler beim Langstreckenlauf bejubeln, geben ebenfalls Kraft – sie stehen symptomatisch für das Umfeld des Krebspatienten. Vorneweg seine Eltern, insbesondere seine Mutter Edina (57). „Auch wenn ich über 30 bin, machte es einen Unterschied, ob ich allein im Klinikzimmer bin oder meine Mutter dabei ist.“ Vier Chemotherapiezyklen mit all den Nebenwirkungen – ob körperlicher Schmerz oder Haarausfall – musste Ahmetović über sich ergehen lassen. „Es gibt Kinder, die nicht das Glück haben, Familie bei sich zu haben. Jemand, der ihnen hochhilft, etwas zu trinken reicht, Karten spielt oder nur da ist“, sagt Hannovers SPD-Chef – und weiß es zu schätzen. Ahmetović kämpft mit den Tränen. „Die Kraft der Mutter, der Eltern, ist unglaublich.“
Selbst eine Prominente hat ihm geholfen – aber ohne, davon zu wissen: Vicky Leandros (72). „Ihr Song ‚Ich liebe das Leben‘ ist zu meiner Heilungshymne geworden. Immer, wenn es mir nicht gut ging, ich Schmerzen hatte, habe ich das Lied angemacht.“
Ein Grund, warum er sich gerade mit der Vorsitzenden Anke Mayer des Vereins für krebskranke Kinder getroffen hat. „Sie planen auf dem MHH-Gelände ein Elternhaus, in dem Mütter und Väter ihre Kinder während der Behandlung begleiten können.“ Ein Millionenprojekt, das für Ahmetović ein Herzensprojekt geworden ist.Den Tag, an dem er erfahren hat, dass er krebsfrei ist, nennt Ahmetović nun seinen zweiten Geburtstag. „Ich bin glücklich, dass ich alles überstanden habe.“