Doch wie ist denn nun unser Verhältnis zum Herbst? Die einen hassen, die anderen lieben ihn offenbar. Eine Umfrage des Marktforschungsinstituts Splendid Research aus dem Jahr 2016 in Deutschland zeigte: 23,2 Prozent der knapp 1000 Befragten gaben den Herbst als ihre unliebste Jahreszeit an. Nur 8,5 Prozent erkoren ihn zu ihrem Liebling. Damit landet er knapp vor dem Winter, wurde von Frühling und Sommer aber ganz klar abgehängt. Ob sich das bis heute, acht Jahre später, geändert hat? Aktuelle Zahlen gibt es dazu nicht. Zumindest in den sozialen Medien wird aber der Eindruck erweckt, dass der Herbst doch einige Liebhaber dazugewonnen hat.
In den vergangenen Jahren ist der Trend der Herbstästhetik vermehrt aus den USA nach Deutschland geschwappt. Dort polarisierte vor allem die Influencerin Caitlin Covington. Immer, wenn sich die Blätter färben, reist die Creatorin nach Vermont und teilt unzählige ästhetische Herbstfotos. 2019 ging ein Bild von ihr und einer Freundin im typischen Herbstlook viral. Sie posierten in Jeans und Stiefeln, kuschelten sich in ihre Strickjacken und riesigen Schals. Auf Twitter, heute X, betitelte damals ein Fake-Account das Bild „Der Hot Girl Summer endet, bereitet euch auf den Christian Girl Autumn vor!“ Eine Anspielung auf die klischeehafte Ästhetik weißer, christlicher Frauen – und die Geburt eines internationalen Memes.
Covington nahm es damals locker und postet auch heute noch fleißig ihre herbstlichen Fotos. „Wenn die meisten Menschen wirklich in ihr Herz schauen, lieben sie den Herbst wahrscheinlich auch“, sagte sie 2023 der britischen Onlinezeitung „The Independent“. Augenscheinlich erkannten das auch die deutschen User. Zwar wird das Erntedankfest hierzulande nicht so groß gefeiert wie Thanksgiving in den USA, dafür gibt es Pumpkin Patches – also hübsch gestaltete Kürbisfarmen – längst auch hier, und Halloween gewinnt zunehmend an Beliebtheit.All das könnte ein Indiz dafür sein, wieso der Herbst generell mit offeneren Armen empfangen wird: Der vorfreudige Blick auf Rituale und anstehende Feste hat laut Psychologin Pia Lena Gran einen positiven Effekt auf Menschen. „Es tut gut, wenn man sich auf etwas freuen kann“, erklärt sie. Kürbisse schnitzen, Suppe kochen, das Gruseln feiern. Auch mit einer Serie, die man immer wieder im Herbst schaut, lässt sich ein kleines Ritual kreieren, auf das man sich freuen kann. Das berühmteste Beispiel ist wohl die US-amerikanische Serie „Gilmore Girls“, die mit ihrem lieblichen Kleinstadtsetting in den sozialen Medien immer wieder als die Herbstserie schlechthin gehypt wird.
Dennoch gibt es Faktoren, die erklären, wieso der Herbst noch immer nicht jedermanns Lieblingsjahreszeit ist. „Im Herbst gibt es weniger Tageslicht, was dazu führt, dass der Körper mehr Melatonin – also das Schlafhormon – freisetzt“, erklärt Gran. In den helleren Jahreszeiten habe man deswegen oft mehr Energie. Tageslicht führe außerdem zu der Ausschüttung des Glückshormons Serotonin, was die Stimmung positiv beeinflusst. Obendrein ist es im Sommer, aber auch im Frühling, draußen wärmer, weswegen man häufig mehr unterwegs sei und sich dadurch auch mehr bewege. „Das hat einen Einfluss auf unser Wohlbefinden“, finde aber im Herbst seltener statt, so Gran. Manche Menschen verfallen in der dunkleren Jahreszeit dem sogenannten Herbstblues. Dieser beschreibt laut AOK-Krankenkasse eine „leichte depressive Verstimmung“, deren Gründe bisher noch nicht vollends bekannt sind. Es wird jedoch vermutet, dass der Mangel an Tageslicht und die dadurch fehlenden Glückshormone sowie fehlendes Vitamin D und vermehrtes Melatonin dazu beitragen können.
Im Gegenteil dazu kann der Herbst bei manchen Menschen aber auch die negativen Gefühle des Sommers ablösen, denn nicht jeder mag Hitze oder gleißendes Licht, beides Faktoren, die ursächlich für körperlichen und psychischen Stress sein können. Das könne unter Umständen sogar aggressiv machen, weiß Pia Lena Gran. „Außerdem geht mit dem Sommer manchmal ein gewisser Freizeitstress einher“, erklärt sie – beispielsweise durch den sozialen Druck, was erleben oder bei anderen Personen auf Instagram oder Tiktok mithalten zu müssen.
Sich den Herbst – ob online oder offline – herbeizusehnen, kann aber unter Umständen tatsächlich hilfreich sein. „Wenn wir unveränderbare Dinge so nehmen, wie sie kommen – sie akzeptieren – und das Beste aus ihnen machen, kann das einen positiven Effekt auf die mentale Gesundheit haben“, erklärt Gran. Doch auch hier warnt die Psychologin: Man solle sich nicht zu sehr mit den ästhetischen Medieninhalten identifizieren, sonst könne sich auch hier sozialer Druck negativ auf die Psyche auswirken.
Aber was tun, wenn einen doch der Herbstblues packt oder der Wetterwechsel einfach aufs Gemüt schlägt? Diese Tipps von Gran sind schnell umsetzbar. Mit Blick auf die Rituale und die Feste rät die Psychologin: „Planen Sie angenehme Aktivitäten und schaffen Sie bewusst positive Erlebnisse.“ Auch ein Spaziergang bei Tageslicht, zum Beispiel in der Mittagspause, helfe, die Glückshormone anzukurbeln. Immerhin kann der Herbst auch viel mehr bieten als nur trübes Regenwetter. Es gibt durchaus Tage mit goldenem Sonnenschein, an denen man sich an den bunten Blättern erfreuen kann.
Im Endeffekt ist und bleibt es individuell, welche Jahreszeit einem am meisten liegt, ob man sich die hohen Temperaturen zurückwünscht oder sich freut, wieder unter der Kuscheldecke verschwinden zu können. Der Herbst kommt und hält sicher für jeden Geschmack ein paar schöne Stunden bereit.