Der Feuerwehr fühlt sich Winterberg schon lange verbunden. Selbst aktiv zu werden, dafür fehlte dem Groß- und Außenhandelskaufmann aufgrund von Schichtdiensten aber zunächst die Zeit. Alternativ war er Fördermitglied. Zudem berichtete er seit 2014 in der von ihm mitbegründeten Facebookgruppe „Laatzener Blaulichtnachrichten“ über Einsätze. Zehn Jahre lang ging das so. „Und dann kam Silvester 2023“, sagt Winterberg. „Ich war sehr, sehr geschockt!“
Die Krawalle im Stadtzentrum mit Steinwürfen und Angriffen auch gegen Laatzens Feuerwehr beschäftigten den Grasdorfer nachhaltig – und nicht nur das. „Ich habe mir überlegt: Was kannst Du machen?“, berichtet der Abteilungsleiter in der Zustellung von Edeka, der inzwischen nur noch in der Frühschicht arbeitet und sich um Belieferung von Gastronomiekunden und Kindergärten kümmert. Die Antwort, dass er nicht einfach nur weiter hinter seinem Computer sitzen könne, sondern nun selbst etwas tun müsste, reifte in ihm. Und als bei einer Party im Frühjahr erneut die Sprache auf die Feuerwehr kam, griff er zum Smartphone und schrieb Ortsbrandmeister Sven Wenger an. Dessen Antwort auf sein bekundetes Interesse am aktiven Dienst kam binnen fünf Minuten.Was folgte war ein erstes Treffen, um Beweggründe, Fitnessstand sowie beiderseits Erwartungen und Fragen abzuklopfen. Alles lief glatt, und eines Mittwochs, noch vor den Sommerferien, kam Winterberg zu seinem ersten Übungsabend. „Ich war positiv überrascht“, sagt der in Dierdorf im Westerwald Geborene, der seit Kleinkindtagen in Laatzen lebt. Er habe sich gut aufgenommen gefühlt und sofort ein Gruppengefühl gespürt. „Es sind über 100 Kameraden und es ist wie in einer Familie.“ Nach drei weiteren Übungsabenden waren sich alle einig: Das passt. Winterberg erhielt seine Einsatzkleidung und den weiteren Plan für die Ausbildung.
Wenn er ein Hobby ausübe, dann wolle er es auch mit Herz und Leidenschaft machen. Die neue Aufgabe bei der Feuerwehr bedeutete im Frühjahr auch das Ende seiner Facebookgruppe. Diverse Nutzer dort seien zuletzt immer toxischer geworden und hätten teils auch nicht vor seinem Privatleben haltgemacht. Insofern sei es gut, dass es einen Cut gibt. Dass er sich neben seinem Beruf auf die Feuerwehr konzentrieren kann, freut die Führungskräfte dort, die ihn an seine neuen Aufgaben heranführen.
Quereinsteiger wie Winterberg seien ein Segen, sagt Ansgar Aselmeyer. Ebenso wie junge Kräfte, die in Kinder- und Jugendfeuerwehr früh an das Ehrenamt herangeführt werden, brauche die Feuerwehr Menschen, die Mitten im Leben stehen. „Das ist gesund fürs Miteinander“, so Laatzens stellvertretender Ortsbrandmeister weiter.Einen ersten Eindruck, wie es später bei Einsätzen zugehen kann, bekam Winterberg vor wenigen Wochen bei einer großen Übung am Klinikum Agnes Karll mit Statisten und geschminkten Verletzungen. Mit Blaulicht und Martinshorn fuhr er im Feuerwehrwagen, an unwissend staunenden Passanten vorbei nach Grasdorf. Kurze Zeit später fand sich der 39-Jährige neben einem erfahrenen Feuerwehrmann im Korb der Drehleiter vor einer vermeintlichen Patientin, die ihn anschrie: „Ich habe Höhenangst!“ Er habe nicht mehr an eine Übung gedacht: „Das war sehr, sehr real.“
Winterberg ist schwindelfrei, doch selbst wer es nicht ist, könne bei der Feuerwehr mitmachen, sagt Aselmeyer: „Es gibt für jeden einen Platz.“ Eine gewisse Fitness ist zwar Voraussetzung, aber Gesundheitsprüfungen beim Arzt sind in der Regel erst für besondere Gruppen wie Taucher oder Atemschutzgeräteträger erforderlich.
Die Ausbildung zum Feuerwehrmann oder zur Feuerwehrfrau umfasst laut Lehrplan 150 Theorie- und Praxisstunden. Doch schon bevor die angehenden Einsatzkräfte alle Module und Prüfungen hinter sich gebracht haben, können sie an Einsätzen teilnehmen. Vorausgesetzt, sie haben sechs Basismodule mit entsprechendem Nachweis absolviert, werden sie von erfahrenen Feuerwehrleuten begleitet. Michael Winterberg ist auf dem Weg. „Wir hoffen, dass er Silvester 2024 einsatzbereit ist“, sagt Stadtbrandmeister Sven Wenger.
Das Gleiche hofft auch Winterberg, doch selbst wenn es eng werden sollte, bleibt auch 2025 noch genug zu tun. Was er sich wünscht? Zum einen, dass den Menschen bewusst ist, dass sie eine freiwillige Feuerwehr haben und Ehrenamtliche in ihrer Freizeit anderen helfen, sagt der Quereinsteiger. Außerdem wünscht er mehr Unterstützung aus der Bevölkerung – und sei es eine finanzielle. „Auch ein kleiner Beitrag im Jahr kann für die Ortsfeuerwehren Großes bewirken.“